Als Hundetrainerin höre ich von meinen Kunden häufig Bedenken, wenn es um die Gabe von Leckerchen geht. Viele Menschen haben Angst, der Hund zeige die gewünschten Verhalten nur noch, weil es Futter dafür gibt. Sätze wie "Mein Hund schaut nur noch auf's Leckerchen." oder Fragen wie "Was ist, wenn ich mal keine Leckerchen dabei habe?" fallen im Training.
In diesem Artikel möchte ich einmal mit den häufigen Bedenken zu Leckerchen aufräumen und Licht ins Dunkel bringen.
Doch beginnen wir zunächst mit ein klein wenig Lerntheorie
Verhalten bleibt nur dann bestehen, wenn es sich lohnt
Wir wünschen uns, dass sich unsere Hunde gut erzogen verhalten. Wir möchten, dass sie gesittet an der Leine laufen, keine Hasen jagen und zurückkommen, wenn wir sie rufen.
Das alles sind jedoch Verhalten, die kein Hund von sich aus zeigt. Wir müssen unserem Hund demnach genau erklären, was wir von ihm erwarten. Damit dieses Verhalten auch in Zukunft zuverlässig gezeigt wird, ist es unerlässlich, dass sich dieses Verhalten für unsere Hunde lohnt. Ob sich ein Verhalten loht oder nicht ist eine verhaltensökonomisch einfache Rechnung, die der Hund anstellt. Wieviele Ressourcen kostet das Ausführen jenes Verhaltens und wieviele Vorteile bringt es unserem Hund im Gegenzug.
nicht lohnende Verhalten...
... werden gelöscht. Dafür gibt es sogar einen verhaltensbiologischen Fachbegriff "EXTINKTION"
Nehmen wir an, du drückst 1 Jahr lang einen Lichtschalter - Licht brennt - alles gut. Du wirst also für jedes Drücken mit Licht, dem Ziel deines Verhaltens, verstärkt. Das Verhalten "Drücken eines Lichtschalters" bleibt also bestehen.
Unterstellen wir nun, dass du es VERSTANDEN hast, dass du diesen Schalter drücken sollst, so wie dein Hund VERSTANDEN hat, dass HIER heißt, so schnell wie möglich zu dir gelaufen zu kommen.
Der Lichtschalter ist aber kaputt, dein Drücken führt nicht dazu, dass sich das Zimmer erhellt. Du wirst für dein Verhalten, dessen EINZIGE Motivation LICHT ist, nicht mehr verstärkt. Wie wahrscheinlich ist es, dass du den Schalter erneut drückst? Das Verhalten "drücke DIESEN Schalter" wurde perfekt gelöscht!
Dein Hund, der "HIER" VERSTANDEN hat, wird nicht mehr von dir belohnt. So wie das Licht deine einzige Motivation für das Drücken des Schalters war, ist die tolle Belohnung die einzige Motivation für deinen Hund, den Rückruf sicher auszuführen. Fehlt diese nun, wird das Verhalten "sicherer Rückruf" gelöscht werden.
manchmal lohnende Verhalten
Wie sieht das Ganze nun aber aus, wenn wir einfach nicht mehr so häufig, sondern nur noch manchmal belohnen? Das müsste doch ein guter Kompromiss sein, oder?
Leider ist es das nicht.
Bleiben wir am Lichtschalterbeispiel:
Der besagte Lichtschalter funktioniert nur noch manchmal und manchmal eben auch nicht. Du wirst also nicht mehr für jedes Drücken mit Licht verstärkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass du DIESEN Schalter drückst wird kleiner. Vielleicht drückst du alternativ einfach einen zuverlässigeren Schalter.
So geht es auch unseren Hunden. Hunde haben kleine Tabellen in ihren Köpfen. Dort findet man zum Beispiel die Tabelle "sicherer Rückruf". Die Tabelle weist 2 Spalten auf. Spalte 1 trägt den Titel "lohnend", die 2. Spalte den Titel "nicht lohnend".
Genau genommen, hat diese Tabelle noch eine weitere Spalte namens "WIE lohnend in Relation zum gezeigten Verhalten". Diese Spalte vernachlässigen wir aber hier, der Einfachheit halber.
Liegt uns nun also sehr viel an einem bombensicheren, zuverlässigen Rückruf, muss es Ziel sein, dass die Tabelle im Hundekopf möglichst viele Striche in Spalte 1 und möglichst wenige Striche in Spalte 2 aufweist. Denn in genau dieser Relation wird dein Hund den Rückruf demnächst zeigen.
Drücken wir unseren Schalter also 100 Mal und 3 Mal davon bleibt das Zimmer dunkel, werden wir diese 3 kleinen Fehler ignorieren und unser Verhalten bleibt sicher bestehen. Bleibt das Zimmer aber nun 20 oder 30 Mal dunkel - zeigen wir das Drücken des Schalters womöglich schon nicht mehr zuverlässig.
2 Beispiele aus dem Hundealltag
RÜCKRUF
AUS UNSERER SICHT:
Rufen wir unsere Hunde zurück, erwarten wir, dass sie sich sofort auf den Weg zu uns machen und das ohne Umwege. Er hat ja schließlich verstanden, was "HIIIIIIIIIIER" heißt!
AUS SICHT UNSERER HUNDE:
"Oh, mein Mensch ruft. Ich müsste jetzt eigentlich den Kopf aus dem Buddelloch nehmen, schauen wo mein Mensch steht, auf direktem Weg zu ihm laufen und alle Ablenkungen links und rechts des Weges ignorieren."
KOSTEN-NUTZEN RECHNUNG:
Belohnen wir dieses Verhalten nun einfach nicht, weil wir nicht möchten, dass unser Hund nur noch wegen der Leckerlies zu uns kommt, trägt der Hund in der Tabelle RÜCKRUF ZUVERLÄSSIG ZEIGEN einen Strich in der Spalte NICHT LOHNEND ein.
VERSETZ DICH IN DIE LAGE DEINES HUNDES:
Du gehst shoppen und hast eine großartige Jacke gefunden. Genau diese Jacke, die du schon immer haben wolltest. Die, die es nirgendwo zu kaufen gibt. Und dann auch noch 25% gesenkt. Heute ist dein Glückstag!
Nichts wie rein in die Kabine und anprobieren, ob das gute Stück passt!
Dein Partner steht am Eingang und ruft dich - er möchte jetzt bitte gehen - SOFORT!!!!!
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass du die Jacke zurück hängst und SOFORT mit deinem Partner den Laden verlässt?
Ich denke die Chance ist klein - es sei denn, du hast gelernt, dass dein Partner nur dann ruft, wenn er etwas GANZ GROßARTIGES für dich hat.
Und wie großartig müsste diese Sache sein, dass du SOFORT alles stehen und liegen lässt und den Laden verlässt?
AUSGEBEN EINER RESSOURCE
AUS UNSERER SICHT:
Wir sagen AUS, der Hund soll die Ressource fallen lassen - eigentlich einfach, oder?
AUS SICHT UNSERER HUNDE:
"Mhhhh, was für ein leckerer Rehknochen, den ich da wieder gefunden habe! Ich liebe es die Fellfetzen herunter zu ziehen und knacke gern die Gelenke. Was für ein Genuss. Ich lege mich am besten mal hier hin, dann kann ich ungestört an meinem Knochen herumnagen."
KOSTEN-NUTZEN RECHNUNG:
Das Ausgeben einer Ressource wie zum Beispiel eines gefundenen Rehknochens, eines Balls, eines Stockes, ... ist ein teures Verhalten für Hunde. Warum? Weil es unsere Hunde viele Ressourcen kostet. Der hochwertige Knochen muss losgelassen werden und man bekommt ihn eventuell auch nicht zurück. Warum sollten Hunde auf ein Signal hin also zuverlässig Ressourcen ausgeben?
VERSETZ DICH IN DIE LAGE DEINES HUNDES:
Du hast dir heute zum Feierabend einen richtig tollen Eisbecher gezaubert - mit kleinen Krokantstückchen und Karamellsauce. Himmlisch!
Du setzt dich auf deine Couch, ziehst deine Lieblingskuscheldecke über deine Beine und steckst dir einen riesigen Löffel Eis in den Mund.
Deiin Partner hat das gesehen und bittet dich, ihm den Eisbecher zu überlassen. Er streckt dir auffordernd seine Hand entgegen und macht eine kleine Winkbewegung mit seinen Fingern.
Wie wahrscheinlich ist es, dass du deinen Eisbecher kampflos übergibst?
Chance gen Null? Es sei denn, du hast gelernt, dass wenn du deinen Eisbecher abgenommen bekommst, dein Partner IMMER einen viel größeren, viel cremigeren Eisbecher mit Krokant-, Keksstückchen UND Karamellsauce für dich bereit hält.
Belohnung & Verstärker
Belohnungen sind nett für unseren Hund, wollen wir jedoch trainierte Verhalten zuverlässig sehen, ist es notwendig, dass wir mit Verstärkern arbeiten. Nur ein Verstärker schafft es, die Kosten-Nutzen Relation zwischen gezeigtem Verhalten und Belohnung FÜR uns ausfallen zu lassen.
Immer Leckerchen?
Müssen als Verstärker also immer Leckerchen gewählt werden?
Nein, es müssen nicht immer Leckerchen gereicht werden, ABER sie bergen einen großen Vorteil gegenüber anderen Belohnungen - sie decken nahezu alle Kontexte ab, in denen wir belohnen wollen. So können wir Leckerchen fast universell einsetzen. Noch dazu steigern sie das Erregungslevel des Hundes nicht zu stark, sodass ein gutes Lernsetting geschaffen werden kann. Außerdem können wir Leckerchen in x verschiedenen Wertigkeiten reichen und diese dann obendrauf auch noch auf x verschiedene Weisen präsentieren (aus der Hand, gerollt, geworfen, verpackt, versteckt, ...)
Möchte ich hingegen funktional verstärken und meinen Hund zum Beispiel für einen guten Rückruf zurück zum Buddelloch schicken, muss ich meinen Hund genau kennen und wissen, wie toll er das Buddelloch finden wird, wenn er erst einmal davon abgelassen hat. Funktionale Verstärker sind großartig, aber ich muss sie als Hundehalter einzusetzen verstehen. Schau dir gern mein YouTube Video zu den funktionalen Verstärkern an.
Auch Spielzeug kann verstärkend wirken, jedoch stoße ich als Hundehalter auch hier an Grenzen der Umsetzbarkeit und Sinnhaftigkeit. Belohne ich meinen Hund fürs Platz zum Beispiel mit einem Spiel, wird es schwer werden, meinem Hund die Position des Liegens nahezubringen. Noch dazu stört mich die hohe Erregungslage der Hunde bei Verhalten, die ich mit Ruhe und Konzentration verknüpfen möchte. Spielzeugbelohnungen leisten große Dienste im Rückruf- und Antijagdtraining. Um meinen Hund jedoch fürs Fußlaufen zu belohnen, würde ich mich für Futter entscheiden.
Signal. Verhalten. Belohnung.
- jedes gute Verhalten sollte verstärkt werden, sonst wird es gelöscht
- Leckerchen sind fast universell einsetzbar und können vielseitig organisiert werden
- Spiel und funktionale Verstärker können ergänzend kontextbezogen sinnvoll sein
"Es gibt Hundetrainer, die ganz OHNE Futter arbeiten und das funktioniert super!"
Kommt darauf an, was man unter SUPER versteht.
Meine Definition von "FUNKTIONIERT SUPER":
- mein Hund ist motiviert. und orientiert sich zuverlässig an mir
- gefragte Verhalten werden sofort und exakt ausgeführt
- meinem Hund geht es gut, er ist weder gestresst noch überfordert
- ich pflege eine liebevolle und harmonische Beziehung zu meinem Hund
- mein Hund vertraut mir in jeder Situation
ganz ohne Belohnungen arbeiten
Trainiert man ohne Belohnung - also ohne das Hinzufügen eines positiven Reizes, befindet man sich zwangsläufig in der negativen Verstärkung. Hunde, die negativ verstärkt werden, können komplett ohne das Hinzufügen einer Belohnung trainiert werden. Das Konzept zielt darauf ab, den Verstärker durch das Verschwinden eines unangenehmen Reizes herbeizuführen. Heißt, der Hund lernt "Mach das, SONST....!" Dieses Vorgehen ist mit der Emotion der Erleichterung verknüpft und wird niemals eine liebevolle und harmonische Beziehung zwischen Hund und Mensch zur Folge haben.
Für unser Beispiel von vorhin - du stehst mit deiner Jackpottjacke im Kaufhaus und dein partner ruft - würde das bedeuten, dass du auf das Rufen deines partners postwendend den Rückzug antrittst, weil du Schlimmeres (drohende unangenehme Reize) vermeiden möchtest. Bist du also in angemessener Zeit erschienen und bist dem negativen Reiz deines partners entgangen fühlst du dich ERLEICHTERT - kein gutes Gefühl, oder?
Fazit
Möchtest du zuverlässige Verhalten deines Hundes trainieren, eine harmonische Beziehung zu deinem Vierbeiner aufbauen & erhalten, sowie ein stressfreies Miteinander führen, dann solltest du möglichst VIIIIIIIIELE erwünschte Verhalten deines Hundes verstärken. Leckerchen bringen dir dabei den großen Vorteil, dass sie zum einen fast jede Situation abdecken, zum anderen stets verfügbar sind. Spielzeug und funktionale Verstärker stellen eine clevere Ergänzung in Sachen Belohnung dar.
JEDES NICHT VERSTÄRKTE VERHALTEN IST EIN LÖSCHUNGSDURCHGANG UND SCHWÄCHT DIE AUFTRETENSWAHRSCHEINLICHKEIT DES VERHALTENS IM NÄCHSTEN DURCHGANG.
In diesem Sinne - fröhliches Verstärken
Eure Nadine
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